Bye bye, Lissabon-Vertrag

Der EU-Vertrag von Lissabon, eine leicht modifizierte Version des Verfassungsvertrages, ist durch das Nein der Iren wohl entgültig gescheitert. Deutsche (Fernseh-)Medien schieben dies auf Desinformations-Kampagnen durch die Opposition und (alte Laier) auf ein Abstrafen der Regierung. Dazu kam dann eine kurze MAZ, was für Vorteile der Vertrag bringe. Von Nachteilen kein Wort. Das dies Blödsinn ist, kann man sich leicht selbst Ausdenken: der Regierungchef Brian Cowen ist erst seit einem Monat im Amt, eigentlich viel zu kurz um die traditionell europafreundlichen Iren in dieser Sache gegen sich aufzubringen. Außerdem war auch die größte Oppositionspartei ebenfalls für die Annahme der Vertrages.

Tatsächlich scheint es aber so zu sein, dass die meisten den Vertrag abgelehnt haben, weil sie ihn nicht verstanden und nicht (neutral) erklärt bekommen haben. tagesschau.de (welches mir sehr viel unabhängiger vorkommt als der TV-Bruder) stellt fest:

Ein Argument vieler Gegner war, dass man den Vertrag gar nicht kenne und ihn deshalb nicht habe annehmen wollen.

Das muss erstmal rein in die Köpfe der europäischen Politiker, die Leute wollen informiert werden. Und zwar neutral. Das muss im Ergebnis heißen, dass die EU-Verträge eindeutig und verständlich formuliert werden. Das kann man von diesem über 300 Seiten starken Werk ganz sicher nicht behaupten. Und nicht nur die Politiker müssen es verstehen, auch die Dozenten. Ich höre im Moment den zweiten Teil der Vorlesung "Das politische System der EU" und stelle immer wieder erschrocken fest, wie unkritisch die EU-Verträge behandelt werden.

Um das klar zu stellen: Der Vertrag beinhaltet meiner Meinung nach einige Verbesserung wie die Stärkung des Parlaments und die Verkleinerung der Kommission. Aber da der Rest und insb. die eventuell problematischen Punkte kaum behandelt wurden bleiben sie auch für mich schwammig (ja, auch ich habe keine Lust mir dieses Machwerk komplett durchzulesen, siehe oben).

Das Ergebnis wird eine mehr oder weniger erlahmte EU sein. Mit 27 Kommissaren wird dieses System, welches ursprünglich für sechs Mitgliedsländer gedacht war, sehr, sehr schwerfällig werden. Man wird nun vermutlich versuchen, irgendwie zu rechtfertigen, dass Irland den Vertrag doch annimmt, so lange Wählen lassen bis das gewünschte Ergebnis vorliegt oder die Änderungen in kleinen Teilen über eine entsprechend lange Dauer umsetzen. An einen neuen großen Reformvertrag glaube ich die nächsten Jahre weniger.

Das beste, was der EU eigentlich passieren könnte, wäre eine komplette Neuorganisation. Zurück auf Los. Weg mit Kommission, Rat und Parlament sowie dem unglaublich gewaltigen Beamtenapperat aus den Köpfen der Politiker und überlegen, wie man es anders machen könnte. Ob man für sowas eine Einigung unter 27 Mitgliedsstaaten finden wird? Ich weiß es nicht. Die EU droht unter ihrer eigenen Größe zusammenzubrechen. Die Bedürfnisse von so unterschiedlichen Ländern wie Ungarn, Portugal, Schweden und England unter einen Hut zu bringen ist nunmal eine schwierige Sache. Vielleicht wären mehrere kleine Staatenbündnisse der richtige Weg. Ost-, Mittel-, Süd- und Nordeuropa, die jeweils für sich (evtl. sogar supranational) organisiert sind und intergouvernemental zusammenarbeiten. Könnte dies das Prinzip einer besseren EU sein?

PS: Schade, dass das Bunderverfassungsgericht wohl nun erneut nicht entscheiden wird, ob dieser Vertrag wohl überhaupt verfassungskonform gewesen wäre.